Die Verbindung zwischen Mathematik und konkreter Kunst erkennt man zum Beispiel schon bei den Höhlenmalereien. Dort war das Formen- und Zahlendenken zwar noch unbewusst, aber die Neandertaler zeichneten zum Beispiel schon geometrische Formen. Diese Formen werden aber erst sehr viel später definiert und benannt. In den Venusbildern wird sehr oft das Dreieck als Geschlechtssymbol eingesetzt, wobei das Dreieck dabei aus der Vereinfachung der natürlichen Formen resultiert. Leider kann man nicht nachvollziehen, wodurch diese Formen in den früheren Kulturen entstanden sind, vielleicht sind die Formen durch Vorbilder in der Natur hervorgerufen worden. Die einfachsten geometrischen Mittel, die man bei prähistorischen Künstlern immer wieder beobachten kann, sind Punkt und Linie. Durch die Linie entwickeln sich dann auch, vielleicht unbeabsichtigt, das Rechteck und das Quadrat. Der Kreis als weitere geometrische Figur ist wohl durch die Sonnensymbolik aufgekommen, aber auch das lässt sich nur spekulieren. Durch diese Formen bildeten sich dann immer weitere geometrische Formen, die später Grundlage der konkreten Kunst werden. Darin sieht man, dass sich auch frühere Künstler schon unbewusst in ihren Bildern mit der Mathematik beschäftigt haben. Die Mathematik liefert Mittel zur Bildentstehung und kommt später selbst ins Bild. Nun will ich aber nochmals auf die eigentliche „Entstehung“ der konkreten Kunst eingehen.
Somit liegt sicherlich die Geburtsstunde der konkreten Kunst schon vor 1945 und damals wurde diese Form der Kunst als eine „Darstellung menschlicher Gedanken für den menschlichen Geist“ (vgl. [1], S.230) beschrieben. In den Anfangsjahren versuchen die Künstler einige Werke mit mathematischen Inhalten darzustellen, aber die ersten Kunstwerke, die wirklich der konkreten Kunst zugeschrieben werden können, formten sich erst nach 1945. Zu Beginn der Phase der konkreten Kunst probierten die Künstler konstruktive Methoden und Mittel aufzuarbeiten, danach lagen die ersten Versuche darin, mathematisches Denken und Resultate in die Kunst zu übertragen. Nach diesen ersten Versuchen wurden die weiteren Werke mehr systematisch geplant und auch konstruiert. Zuerst wurden nur geometrische Formen benutzt und dargestellt, danach werden auch mathematische Eigenschaften und Abbildungen in die Bilder einbezogen, wie zum Beispiel die Symmetrie, Spiegelungen, Drehungen oder auch Verschiebungen. Im 20.Jahrhundert nahmen viele Künstler auch den Computer oder Zufall zur Hilfe. Hierbei werden zufällige Ereignisse in der Bildentstehung erfasst oder werden als Werkzeug genutzt, welches Vorschläge zur Bildentstehung liefert, aus denen der Künstler dann auswählen kann. In den späteren Jahren bildeten sich immer wieder neue Gruppen, die sich zur konkreten Kunst zählten oder die konkrete Kunst erweiterten.
In vielen anderen Ländern kann man ähnliche Kunstformen erkennen, aber wenn man diese Kunstformen näher betrachtet, sieht man Unterschiede zu den konkreten Künstlern. Oft liegt den Bildern nur eine einzige Idee zugrunde, aber in der konkreten Kunst ist es ein „vollständig ins Bildliche übertragene, logisch in sich abgeschlossene Gedankengebäude“ (vgl. [1], S.234), das heißt, das Bild ist vorher schon vollständig durchdacht und jeder Schritt der Entstehung ist geplant. Der Begründer der konkreten Kunst van Doesburg sah „diejenigen Kunstrichtungen als Vorläufer an, die – beginnend mit dem Impressionismus – die Eigenwertigkeit der bildnerischen Mittel gegenüber dem Gegenstand betonen“ (vgl. [1], S.262). Konkret beschreibt dabei van Doesburg eine „Art der Kunst, die allein auf sich selbst verweist, im Gegensatz zur abstrakten Kunst, die sich auf die Realität bezieht“ (vgl. [1], S.262). Mit der Gründung von Museen und Häusern der konkreten Kunst geht diese Richtung in eine neue Phase der Verbreitung und Vermittlung ein, nachdem schon einige Ausstellungen gemacht wurden. Die ersten Museumsgründungen begannen 1971 durch den Maler Victor Vasarely, zum Beispiel in Vaucluse.
Nach Max Bill geht es in der konkreten Kunst darum, die Gesetzmäßigkeiten von Strukturen anschaulich zu machen und er sagt: „ Die Gesetze der Struktur sind: die Reihung, Rhythmus, Progression, Polarität, die Regelmäßigkeit, die innere Logik von Ablauf und Aufbau.“ (vgl. [1], S. 268).
Eine Voraussetzung für das Kunstwerk ist der geistige Entwurf, der dann mit den entsprechenden Mitteln der Mathematik zu realisieren ist. Weiterhin müssen sich die Künstler mit den Problemen der Farbe, Fläche und Raum auseinandersetzen. Die Formen werden in der konkreten Malerei bereits im Zuge der Entwurfsbildung mit bedacht und kalkuliert.
Victor Vasarely war einer der Künstler, der die scheinräumliche Wirkung geometrischer Elemente auf der Fläche untersuchte. Er brachte die optische Bewegung in seine Bilder und prägte den Begriff „Op Art“. Diese Künstler versuchen mit den einfachsten Mitteln und der Farbgebung ihrer Bilder eine gewisse Bewegung in ihre Bilder zu bringen. Hierbei war „der Einbezug des Betrachters und die Aktivierung des menschlichen Sehprozesses“ (vgl. [1], S.267) sehr wichtig.