Spricht jemand von Mathematik und Kunst, wird wohl jeder denken: „Das passt nicht zusammen.“ Da es schon in der Schulzeit keine Verbindungen zwischen den beiden Fächern gab, sind diese Gedanken nicht ungewöhnlich. Doch wenn man den Blick auf eine bestimmte Kunstform richtet, erkennt man sogar viele Zusammenhänge. Diese Richtung der Kunst wurde 1924 von Theo van Doesburg eingeführt und bekam 1930 den Namen „Konkrete Kunst“. Konkrete Kunst beruht auf mathematisch-geometrischen Grundlagen, im Gegensatz zur abstrakten Kunst. Die Künstler versuchen durch die Verwendung einfachster Gestaltungsmittel, d.h. Grundformen und –farben, dem Betrachter eine dauerhafte Ästhetik zu vermitteln. In den Bildern spiegeln sich keine Gegenstände oder Naturerscheinungen wider und dadurch sind diese Bilder zeitlos und bleiben für den Betrachter dauerhaft schön. Die Kunstwerke entstehen schon im Geiste des Künstlers, sie erstellen zuerst einen „Bauplan“ oder einen Konstruktionsplan, bevor das Bild auf Papier gebracht wird. Hier erkennt man schon den ersten Zusammenhang zur Mathematik. Besonders in dem Teilgebiet Geometrie werden auch Konstruktionsvorschriften erstellt und danach damit konstruiert. Durch diesen Plan kann die Entstehung der Bilder jederzeit vom Betrachter nachvollzogen und selbst durchgeführt werden, indem man mathematische Methoden anwendet. Somit eignen sich diese Bilder auch gut für den Schuleinsatz, im fächerübergreifenden Unterricht können die Bilder analysiert und die Gemeinsamkeiten zwischen Mathematik und Kunst herausgearbeitet werden. In der konkreten Kunst werden mathematische Ideen visualisiert und verarbeitet.
Andererseits spielt auch Bewegung eine wichtige Rolle in der konkreten Kunst. Jürgen Roth unterteilt in seinem Artikel „Konkrete Kunst und Bewegung“ die Rolle der Bewegung in drei verschiedene Gesichtspunkte: Zum einen ist Bewegung ein wesentlicher Aspekt des Kunstwerkes, das bedeutet, Teile des Kunstwerkes können sich bewegen oder durch die Bewegung des Betrachters entsteht ein neues Bild. Des Weiteren ist die Bewegung ein Werkzeug zur Interpretation des Bildes, d.h. durch Analyse des Bildes erkennt man die Hilfsmittel, durch die die Bewegung erzeugt wird, zum Beispiel durch Spiegelungen oder Verschiebungen. Der letzte Gesichtspunkt ist die Bewegung als Hilfsmittel zur kreativen (Weiter-) Entwicklung des Kunstwerks. Hierbei kann der Betrachter das Kunstwerk in Gedanken verändern oder weiterentwickeln, wie man es auch bei mathematischen Problemen oft macht, bevor sie gelöst werden.
Somit wird in den Bildern der konkreten Kunst die Mathematik dargestellt und auch zur Entstehung der Bilder werden mathematische Ergebnisse hinzugezogen. Für die Mathematik gibt es im Gegensatz zur konkreten Kunst keine allgemeine Definition. Es gibt viele Ansätze, die versuchen zu beschreiben, mit was die Mathematik sich beschäftigt oder wie man eine gültige Definition finden kann. Eine Beschreibung der Mathematik, die zum Teil auch die Zusammenhänge zur konkreten Kunst deutlich macht, beschreibt diese als „Wissenschaft, hervorgegangen aus Aufgaben des Zählens, Rechnens und Messens, der praktische, insbesondere naturwissenschaftliche und technische Fragestellungen zugrunde lagen und zu deren Behandlung Zahlen und geometrische Figuren herangezogen werden.“ (vgl. [H7]). Der Zusammenhang zur Kunst besteht dabei darin, dass die Künstler der konkreten Kunst versuchen, die geometrischen Figuren und Zahlen in ihren Bildern zu visualisieren und somit mathematische Themen in ihren Bildern aufzugreifen. Im Gegensatz zu den zahlreichen Definitionen der Mathematik wird die konkrete Kunst schon zu Beginn an von Max Bill definiert. Er schreibt: „Konkrete Kunst nennen wir jene Kunstwerke, die auf Grund ihrer ureigenen Mittel und Gesetzmäßigkeiten – ohne Anlehnung an Naturerscheinungen oder deren Transformierung, also nicht durch Abstraktion, entstanden sind.“ (vgl. [1], S.75).
Die Künstler selbst sehen den Zusammenhang zu Naturwissenschaften darin, dass in ihrer Kunst das Unsichtbare, also die oftmals schwer ersichtlichen mathematischen Themen, anschaulich und wahrnehmbar gemacht werden. In anderen Worten ausgedrückt versuchen die Künstler mit einfachsten Mitteln die Mathematik zu verdeutlichen, ohne Gegenstände zu verwenden. Trotzdem wenden sich die Künstler von dem Begriff „Gegenstandslose Kunst“ ab, da in ihren Bildern ja immer noch ein Inhalt vermittelt werden soll. Ein wichtiges Merkmal der konkreten Kunst ist die Objektivität der Bilder, die Bilder kann jeder erzeugen und reproduzieren. Um dies zu erreichen nutzen die Künstler die Mathematik, damit die Bilder inhaltlich eine Struktur bekommen. Dieser Bezug zur Mathematik wird oft schon in den Titeln der Bilder deutlich.